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1866 - Das Cholerajahr im Eifeldorf Matzen

1866 - das Cholerajahr im Eifeldorf Matzen
von Gerda Dreiser

Von Pest, Hunger und Krieg verschone uns, o Herr!" so lautet eines der inbrünstigsten Bittgebete der Kirche.
Ob mancher in der heutigen, so schnelllebigen Zeit daran denkt, was es heißt, eine so große Bitte vor das Angesicht Gottes zu tragen. Hunger und Krieg, jenes Schreckgespenst der Apokalyptischen Reiter, haben wir Menschen des 20. Jahrhunderts im ersten Weltkrieg 1914—18 und im zweiten 1939—45 kennen und fürchten gelernt.

Seuchen und Epidemien waren das Gefolge der Notzeiten, die heute bei rechtzeitiger Anwendung der Hilfsmittel moderner Medizin bekämpft und eingedämmt werden können. Denken wir 100 Jahre zurück, als man einer furchtbaren Seuche, der Cholera, fast machtlos ausgeliefert war! In diesem Jahre jährt es sich zum hundertsten Male, daß die Cholera in Deutschland und darüber hinaus in Europa wütete und weite Gebietsteile heimsuchte.

Grausam und heimtückisch suchte die unheimliche Seuche die Menschen heim — niemand verschonend, der ihren von Gottes Fügung vorgezeichneten Weg kreuzte. Der Mensch faltete die Hände in seiner Ohnmacht gegen das Unabwendbare, das ihn zu Boden zwang.

Oft genug murrte er gegen Gott, der dieses Strafgericht über viele verhängt hatte, die es nach seiner Ansicht nicht verdient hätten.
Niemand vermochte die eigentümliche Art zu enträtseln, mit der sie die Menschen anfiel. Jenes Haus suchte sie heim, jenes übersprang sie. Manche Gasse ließ sie ganz aus und kam trotzdem wieder jedesmal von neuem in die Häuser der Menschen zurück.

War es Zufall, daß sie gerade mit Vorliebe die Starken, die Gesündesten anfiel, und zwar jene, die sich besonders gegen sie wehrten, als gelte es, gerade an diesen ihre geheime Kraft zu erproben und den Menschen ihre Ohnmacht vor Gott zu zeigen. Wie ein Gespenst hockte die unheimliche Krankheit auf den Dächern der eng aneinander liegenden menschlichen Behausungen, beständig nach einem Opfer Ausschau haltend. Hinter verriegelten Türen und dicht verschlossenen Fenstern drückten sich die Menschen in die dunklen Winkel ihrer Stuben und wagten kaum zu atmen, damit nicht der Gifthauch der unheimlichen Krankheit sie anfalle.

In der furchtbaren Angst, in der die Menschen vor der Seuche lebten, spukte es überall in den Köpfen herum, wer sie eingeschleppt haben könnte. Es kam sogar das Gerücht auf, wenn der Betreffende zu finden sei, würde die Cholera sofort erlöschen. Die Menschen klammerten sich in ihrer Not an jedes Wort, das ihnen Befreiung von der furchtbaren Geißel verhieß. Aber auch von Todesangst gefoltert, belauerten sie einander, ob dieser oder jener nicht die untrüglichen Zeichen als Vorboten der Krankheit an sich trüge. Jeder sah im Nächsten eine Gefahr, und meistens stand man allein mit dem einzigen Gedanken, sein eigenes Leben zu retten.

Es gab auch mutige Menschen — Ärzte und Pfarrer —, welche die Erkrankten pflegten und für den letzten Weg vorbereiteten. Schutzimpfungen kannte man damals nicht, und so war das in Essig getränkte Tuch, das man sich vor Mund und Nase band, das einzige Abwehrmittel. Der von der Cholera Befallene erlitt schrecklichen Durst und wurde so von Schmerzen geplagt, daß er laut schrie und jammerte und um sich schlug. Nach dem ausdrücklichen Verbot des Arztes durfte man den Kranken kein Wasser reichen, da man aus verseuchten Brunnen stammendes Wasser für die Ursache der Krankheit ansah.

Auch blühten die dunklen Geschäfte. Es gab gewissenlose Herumtreiber, die den geängstigten Menschen Wundertränke anpriesen und aufdrängten und sich gut bezahlen ließen oder die sich an den leer gestorbenen Häusern und dem verlassenen Gut bereicherten.War ein Mensch an der Cholera gestorben und das erste Opfer, so versuchte man, es noch heimlich zu halten und gab bekannt, daß er an einem gewöhnlichen Fieber gestorben sei. Die wenigen aber, die den Toten gesehen hatten, zweifelten nicht mehr daran, und kurz danach wußten es alle: die Cholera ist ausgebrochen! Meistens wurden die Verstorbenen sofort nach dem Tode begraben — oft nur von den geängstigten Mitbewohnern des Hauses vor die Türe draußen gelegt, von wo aus sie von beherzten Leuten zum Friedhof gebracht wurden.

Wie war die Seuche eigentlich ins Dorf gekommen? So mußte man sich auch in Matzen fragen, als sich der erste Krankheitsfall anzeigte. Der nachfolgende Auszug aus dem Sterberegister der Pfarrei Liebfrauen in Bitburg, zu der die Filiale Matzen gehört, gibt Kunde, wie die Seuche grassierte und unbarmherzig ihre Opfer forderte. So starben allein aus dem Hause Sonnen in einigen Tagen des September 1866 neun Personen, dazu auch der Knecht und die Magd des Hauses.


Auszug aus dem Sterberegister der Pfarrkirche Liebfrauen
für das Jahr 1866 (Cholera Opfer)



 

 

Datum

Name, Stand 

Wohnort 

08.08.1866

 Kroll, Katharina, Tocher von Friedrich Kroll und Barbara Schleich

 Stahl /
Mühlenberg

12.09.1866

Friedrich, Elisabeth Mathilde, ohne Stand 

Bitburg 

12.09.1866

Sonnen, Leonhard, Landwirt, 58 Jahre, Ehemann von Elisabeth Fuchs 

Matzen 

16.09.1866

Schwall, Jakob, Landwirt, 57 Jahre alt, Ehemann von Maria Peters 

Matzen 

16.09.1866

Sonnen, Barthel, Feldhüter, 49 Jahre alt, Ehemann von Elisabetha Hundheim 

Matzen 

16.09.1866

Nopp geb. Sonnen, Maria, Tochter von Theodor Nopp, Landwirt 

Matzen 

19.09.1866

Sonnen, Katharina geb. Lehnen, Witwe des Johann Sonnen, 84 Jahre alt 

Matzen 

22.09.1866

Sonnen, Katharina, ledig, Tochter des Peter Sonnen und der Susanna Jacobs, 21 Jahre alt

Matzen 

23.09.1866

Sonnen, Peter, ledig, Sohn des Barthel Sonnen und der Elisabetha Hundheim, 18 Jahre alt  

Matzen

23.09.1866

Andreas, Matthias, Tagelöhner, Sohn des Michael Andreas und der Anna Maria Grehn, 22 Jahre alt 

Matzen 

23.09.1866

Sonnen, Thomas, Ehemann von Maria Goebel, 56 Jahre alt 

Matzen 

24.09.1866

Sonnen, Peter, ledig, Sohn von Peter Sonnen und Susanna geb. Jacobs, Landwirt, 26 Jahre alt

Matzen 

24.09.1866

Jacobs, Susanna, Ehefrau des Peter Sonnen, 53 Jahre alt 

Matzen 

25.09.1866

Sonnen, Jakob, ledig, Sohn des Peter Sonnen und der Susanna geb. Jacobs, 19 Jahre alt

Matzen 

25.09.1866

Sonnen, Peter, Sohn des Peter Sonnen und der Susanna Jacobs, 11 Jahre alt 

Matzen 

28.09.1866

Sonnen, Peter, Witwer von Susanna Jacobs, Gutsbesitzer, 54 Jahre alt

Matzen

04.10.1866

Barg, Jakob, Ehemann von Barbara Lebges und Witwer von Susanna Leibertz, Tagelöhner, 62 Jahre alt 

Matzen 

06.10.1866

Barg, Hilarius, Sohn des Jakob Barg und der Susanna Leibertz, 6 Jahre alt 

Matzen 

09.10.1866

Barg, Johann, Sohn des Jakob Barg und der Barbara Lebges, 13 Jahre alt 

Matzen

12.10.1866

Schleich, Johann Wilhelm, Sohn von Matthias Nicolaus Schleich und der Catharina Kertz 

Matzen 

 

 


Die Eintragungen im Kirchenbuch bestätigen, dass alle an der Cholera Verstorbenen mit den heiligen Sterbesakramenten versehen worden sind und am Todestage auf dem Friedhof in Matzen bzw. Kroll Katharina und Friedrich, Elisabetha Mathilde auf dem Friedhof Bitburg beerdigt worden sind.


Nur dem zuletzt lebenden Matthias Sonnen, der von fürchterlichen Durstqualen geplagt wurde, stellte die Magd Käth einen Eimer Wasser vor das Bett, in dem Gedanken, einem Sterbenden den letzten Wunsch nicht abgeschlagen zu haben. Er trank ihn leer, und sein Zustand verschlimmerte sich nicht mehr. Er genas nach längerer Zeit. Nach überlieferten Aussagen der Dorfbewohner tranken nunmehr alle Erkrankten von dem Wasser aus diesem Brunnen, und die Todesopfer verringerten sich. Matthias Sonnen - 1838 - 1899Matthias Sonnen war in Matzen der einzige Überlebende der Familie Sonnen außer seinem Bruder Johann, der im Kriege 1864—66 im Felde stand. Matthias Sonnen heiratete Katharina Wagner aus Bitburg in erster Ehe und nach deren Tode Elisabeth Eichhorn aus Dudeldorf in zweiter Ehe. Aus der zweiten Ehe gingen zwei Töchter hervor: Maria und Regina. Maria Sonnen, verehelichte Mayer aus Trier, starb 1945 als Evakuierte aus Trier im Hause ihrer Schwester, und Regina Sonnen, verehelichte Weimann, starb 1938 in Matzen. Matthias Sonnen starb 1899 in Matzen.Johann Sonnen kehrte nach Beendigung des Krieges 1864—66 in die Heimat zurück. Sein Weg führte über Speicher, wo man ihn warnte, nach Matzen zurückzukehren, da dort die Cholera herrsche. Daraufhin begab er sich zu seinen Verwandten auf die Loskyller Mühle. Hier erfuhr er, daß seine ganze Familie bis auf seinen Bruder Matthias ein Opfer der Seuche geworden sei. Durch den Schreck färbte sich sein Haar schlohweiß. Er kehrte später nach Hause zurück und blieb in Matzen im Stammhaus Sonnen wohnen.Johann Sonnen verheiratete sich mit Elisabeth Epper aus Matzen und hatte 6 Kinder: 3 Söhne — Peter, Philipp, Matthias —- und 3 Töchter: Elisabeth, Katharina, Maria. Der Sohn Peter verheiratete sich nach Auel, Kreis Prüm, der Sohn Philipp nach Neuhaus, Landkreis Trier, Matthias Sonnen verblieb im Stammhaus. Sie sind inzwischen verstorben.

Die Töchter Elisabeth, verehelichte Betzen, und Maria, verehelichte Mayer, starben in Matzen, und Katharina, verehelichte Ehlenz, lebt heute noch 86jährig in Trier.Auf dem Friedhof in Matzen befand sich bis vor zwei Jahren das sogenannte Pestdenkmal - das Grabmal der Familie Sonnen, das im Mittelstück die Inschrift des Totenzettels und auf den Seitenstücken die Namen, den Tag und die Stunde des Todes der Choleraopfer trug.

Leider ist es abgerissen und nicht mehr aufgestellt worden.Nachkommen der Familie Sonnen leben heute noch in Matzen, Sonnenhof, Bitburg, Neuhaus, Loskyller Mühle und Altenkessel. Nach dem Erlöschen der Seuche dauerte es lange, bis sich die Geregeltheiten des täglichen Lebens wieder Bahn schaffen konnten. In späteren Jahren wurden vielfach sogenannte „Cholerakreuze" errichtet. So zum Beispiel in Mötsch, wo das mitten im Ort in einem Viehpferch nahe der Straße steht. Es ist ein Kriegserinnerungs- und Seuchenkreuz. Auf einem breiten Mittelstück trägt es die Inschrift: 
„Zur Dankbarkeit an die glückliche Heimkehr
hiesiger junger Leute aus dem Kriege 1866
und für Befreiung von der Cholera im selben Jahr“.
Errichtet von den Einwohnern von Mötsch 1867."

Es gibt noch mehrere Kreuze dieser Art im Kreise Bitburg, die an den Krieg 1864—66 und die Cholera erinnern.  Heute weiß jeder, daß die Cholera eine in Indien heimische, ansteckende Krankheit ist, die sich trotz Schutzimpfungen vom Gangesgebiet in die Nachbarländer verbreitet und gelegentlich auch nach Europa übergreift. Hervorgerufen durch den Kommabazillus, begünstigt durch schlechte hygienische Verhältnisse, endet sie mit Durchfällen, Erbrechen, Atemnot, Krämpfen und Bewußtlosigkeit meist tödlich.Gewiß — die moderne Medizin steht heute mit wirksamen Mitteln im Kampf gegen die furchtbare Geißel der Menschheit — die Cholera — uns zur Seite.

Dessen ungeachtet wollen wir Menschen in Dankbarkeit für die Errungenschaften der Forschung im Kampf gegen alles Unheil Gott, den Herrscher über alles Leben, demütig bitten:
„Von Pest, Hunger und Krieg — verschone uns, o Herr!"

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Quelle: Heimatkalender des Landkreises Bitburg 1967, S. 108 ff.
(Mit freundlicher Genehmigung der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm)